Als mein Bruder ein Wal wurde

Titel: Als mein Bruder ein Wal wurde
Reihe: Nein - Einzelband
Sprache: Deutsch
Autor: Nina Weger
Verlag: Oetinger
 Genre: Kinderbuch
ISBN: 978-3-96052-098-6
Preis: 9,99 $ (D) Hardcover
Seiten: 304
empfohlenes Alter: ab 12 Jahren
Erschienen: 21. Januar 2019
     

Und dann dachte ich: Es gab auch keinen Erwachsenen, der verstanden hatte, wie schlimm meine Angst war. Wie sehr ich fürchtete, dass meine Familie kaputtgehen könnte. Und das die Frage, ob Julius behandelt werden sollte oder nicht, für mich genauso schrecklich war wie für meine Eltern. Schließlich war ich sein Bruder!



„Manchmal, wenn ich abends im Bett lag, stellte ich mir vor, dass Julius wie ein riesiger Wal durch die Tiefen des Ozeans glitt.“

Darf man über das Leben eines anderen bestimmen? Und woher soll man wissen, was richtig oder falsch ist, wenn man ihn nicht fragen kann? Belas großer Bruder Julius liegt im Wachkoma, die Familie soll eine Entscheidung treffen und steht kurz davor, auseinanderzubrechen. Und jetzt? Belas Freundin Martha würde zum Papst fahren. Der muss schließlich wissen, was in so einem Fall zu tun ist … Heimlich schlachten sie ihre Sparschweine, klauen eine Kreditkarte und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise nach Rom, um eine Antwort zu finden und Belas Familie zu retten.

Wenn man sich das Cover so anschaut, denkt man gar nicht das ein derartig emotionales Thema dahintersteckt, habe ich recht. Es klingt mehr nach Fantasy. Vielleicht einem Abenteuer auf den sieben Weltmeeren. Ich bin gespannt, ob ich das Cover nach der Lektüre des Buches mit anderen Augen sehe. Der Titel jedenfalls ist schon mal interessant.


Erster Satz - Wir waren in den Ferien mal am Meer.
 Es war ein Tag wie jeder andere, als der Unfall geschah. Plötzlich drehte sich Belas Welt nur noch um Krankenhäuser, Therapien, Wachkoma. Drehte sich um Hoffen und beten und immer ein kleines Stück mehr verzweifeln. Denn Julius, sein Bruder, lag im Wachkoma und nicht einmal die Ärzte konnten sagen, ob oder wann er wieder aufwachen würde. Nach 2 Jahren drohte die Familie daran zu zerbrechen. Um endlich eine Antwort darauf zu finden, was richtig und was falsch war, ob ihr Bruder leben oder sterben sollte, fasste er mit Martha einen Plan. Mit der gestohlenen Kreditkarte von Marthas Vater machen sie sich auf den Weg nach Rom. Und zwischen vielen verschiedenen Begegnungen mit Menschen und dem Tod hofft Bela das der Papst ihr diese Frage würde beantworten können. Denn wenn er es nicht konnte, wer dann?


 Die Sanftheit mit der dieses Buch an den Tod herantritt, traf mich härter, als ich erwartet hatte. So geht es um zwei Kinder, die von den Erwachsenen so sehr aus diesem, auch für sie so aktuellen, Thema herausgehalten wurden, das sie sich am Ende gar nicht mehr trauten überhaupt etwas zu fragen. Aus Angst die Familie noch mehr zu spalten. Aus Angst das es diese Frage, dieser Gedanke, dann sein würde, der es zur Wahrheit werden ließ. Doch Kinder brauchen Antworten um damit fertigzuwerden. Sie müssen und dürfen über dieses Thema sprechen. Mit den Eltern und nicht mit einer hineingezogenen Psychologin.

Es gibt eine Seele. Ich konnte es dir in der Nacht da im Krankenhaus nicht sagen. Aber ich habe es bei meiner Mutter gesehen. Oder besser: nicht gesehen! Als sie tot war, fehlte etwas. Da war was raus aus ihr, ohne dass da jemand etwas entnommen hätte, verstehst du? Das war nicht mehr sie, die da lag! Da lag nur noch ihre verkrebste Hülle.


Und als Bela keine Antworten bekommt, macht sie sich auf die Suche und bekommt so unglaublich viele. Oft traten mir bei den Gesprächen die Tränen in die Augen, ließen mich lächeln und zustimmend nicken. Es steckt so viel Trost und Wahrheit in diesem Buch.
Auch zeigt es, dass Kinder viel mehr mitbekommen, als die Erwachsenen glauben. Sie machen sich ihre eigenen Gedanken und diese sind auf ihre Art tiefsinnig und alles andere als mit einem mitleidigen Blick abzutun.



 Bela und Martha sind zwei ganz gewöhnliche Kinder, die mit dem schlimmsten zu kämpfen haben, was man sich vorstellen kann. Den Verlust eines geliebten Menschen. Bela ist dabei - was ich erst ca auf Seite 127 gerafft hatte - ein Junge. Ein etwas irreführender Name, wenn es nach mir ging. Gerade da seine ängstliche Art fast mehr zu einem Mädchen gepasst hatte. Gleichzeitig dennoch toll, das hier Martha mal die war, die ihm Mut gemacht hat nicht aufzugeben. Im Verlauf der Geschichte öffnen sich die Kinder langsam gegenseitig und helfen sich über ihre Trauer hinweg. Geben sich Antworten auf die Fragen, die sie sich bei den Erwachsenen nie haben getraut zu fragen.
Ihre offene Art macht es leicht sich mit ihnen anzufreunden. Das Abenteuer der beiden beginnt eine persönliche Note zu bekommen, denn der Leser kommt nicht darum herum, selber über die gestellten Fragen nachzudenken.
Was wäre wenn?

Dabei habe ich es mir ja gedacht. Und dann hate ich immer Angst, dass es nur so schlimm gekommen ist, weil ich das gedacht habe. Dass ich es mit meinen Gedanken erst so richtig schlimm gemacht habe. 

"Als mein Bruder ein Wal wurde" ist ein Buch, das mich tief bewegt hat. Das, leider immer noch, Tabuthema Tod wird hier einmal in all seiner Deutlichkeit behandelt und gezeigt, was dieses Totschweigen in Kindern auslösen kann. Denn Kinder sind nicht dumm! Sie hören mehr als man glaubt und machen sich ihre eigenen Gedanken. Sie brauchen Trost und ein offenes Ohr um alle Fragen stellen zu können, die ihnen auf der Seele liegt. Und so mag es vielleicht ein Kinderbuch sein, doch ich würde es auch Erwachsenen ans Herz legen. Es ändert den Blick, lässt einen reflektieren.
Das Ende des Buches fand ich dabei sehr gut gewählt, auch wenn trotzdem eine Menge offen bleibt. Doch ich selber hatte das Gefühl, dass sie das nun ab dieser Stelle alleine hinbekommen werden. Ich kann sie von der Hand lassen, auch wenn ich gerade am Ende sehr nahe dran war, auch ein paar Tränen zu verdrücken. Nicht aus trauer, sondern wegen der Schönheit und Wahrheit jener Antwort, die Martha und Bela am Ende bekommen sollten.


Ein sehr tief gehendes Buch, das einen durchaus aufgewühlt zurücklässt. Der Verlag empfiehlt ein Lesealter ab 10, doch ich glaube nicht, dass Kinder in diesem Alter das alleine ganz verstehen. Ich würde es selber eher ab 12 Jahren einordnen. Davon abgesehen ist dieses Buch großartig und ich hoffe, dass es trotz des tabuisierten Themas viele Lesen und Lieben lernen werden. Es lohnt sich einfach.
 6 von 6 möglichen Krümeltörtchen für ein traurig-schönes Lesevergnügen.

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